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CD REVIEWS

‚The Open Shutter‘ fängt die Welt von MORPHOSE ein

today12. Oktober 2023 553 1

Hintergrund
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Über das ebenso edle wie abseitige Projekt MORPHOSE haben wir schon mehrfach berichtet.
Hier, hier, hier und hier könnt ihr euch noch einmal das Grundwissen draufschaffen, um hier der Entwicklung weiter folgen zu können.
Denn mit ‚The Open Shutter‘ gibt es jetzt das zweite Album nach der Wiederbelebung des Projektes.
Ganz nebenbei hat Mastermind CHRISTOPH SCHAUER am 28. September zusammen mit seinem Kollegen MAX FILGES den DEUTSCHEN FERNSEHPREIS 2023 in der Kategorie „Beste Musik Fiktion“ für die akustische Begleitung (neudeutsch „Soundtrack“) der Serie „Höllgrund“ verliehen bekommen.
Ihr seht also, auf welcher Ebene wir uns hier bewegen…

Etwas schwierig wird es, da in diesem Moment, in dem der Autor diese Zeilen schreibt, eine Hiobsbotschaft die Nächste jagt. Nein, wir wollen hier keine politische Diskussion starten, denn wir sind ein Musikmagazin. Aber natürlich bleiben wir nicht unberührt von all dem, was da so passiert.
Neben der Situation in der Ukraine gibt es jetzt eben auch einen von radikalen(!) Palästinensern mit Israel angezettelten Krieg. Und das just in dem Moment, in dem von Russland finanzierte ultrarechte amerikanische Patrioten ihr Land, welches gern als Weltpolizei propagiert wird (gutes Streitthema, aber bitte nicht hier; Anm. des Autors), handlungsunfähig machen. Viele seltsame Zufälle, die die uns bekannte Welt in Flammen setzen.
Und bei all dem wird ausgerechnet die Review von MORPHOSE’s ‚The Open Shutter‘ zur Besprechung eines Soundtracks zum Untergang.
Die Szene, in der wir uns bewegen, entsprang ja mal dem Punk. Das ausgerechnet deren „No Future“- Mantra gerade jetzt realer wird, als zur Hochzeit der Szene(n), ist irgendwie erschreckend.

Aber hey, zumindest sind wir jetzt alle in der richtigen melancholischen Stimmung, um uns mit richtig deeper Musik zu beschäftigen. Und genau dies werden wir auch umgehend tun.

 

 

MORPHOSE

Wir haben ja eingangs bereits unsere älteren Artikel zum Projekt MORPHOSE verlinkt. Dennoch möchten wir noch einmal ein paar Zeilen dazu schreiben.

Also, MORPHOSE ist CHRISTOPH SCHAUER und CHRISTOPH SCHAUER ist MORPHOSE. Es eine untrennbare Verbindung, die parallel zu CHRISTOPHs Soundtrack- Produktion verläuft.
Dies erklärt auch ein bisschen den besonderen Sound, den dieses Projekt auszeichnet.
Sehr früh war auch ARC MORTEN, mit dem CHRISTOPH bereits früher in einer sehr wilden und experimentellen Band spielte, dabei.
Das mündete zum einen in dem tatsächlich ersten Album ‚The Inexplicable Lightness Of The Dark‘. Vermutlich wird sie aber als EP klassifiziert und deshalb der Zählung entzogen.
Dann wurde es ruhiger um das Projekt, da Herr SCHAUER mehr mit der Produktion von Soundtracks beschäftigt war. Zudem bekam die Entwicklung durch ARCs Mitarbeit einen neuen Drive, der in der Gründung des Projektes CYTO mündete. Zwar sind auch CYTO und MORPHOSE untrennbar verbunden und teilen dieselbe DNA, allerdings ist dieses Konstrukt näher an einer geschlossenen Band, als es MORPHOSE je sein könnte und wollte.

Seit MORPHOSE mit den überragenden Kollaborationen für das offizielle Debütalbum ‚The Inexplicable Darkness Of Light‘ eingeschlagen hat, wie Sohnemanns Fußball in Nachbars Fenster, ist CYTO in den Tiefschlaf versetzt worden.
Angesichts der Arbeitsauslastung der Beteiligten durchaus verständlich aber auch sehr traurig. Noch schlimmer ist jedoch dieses seltsame Gefühl, welches den Autor beim Hören von ‚The Open Shutter‚ beschleicht: es klingt stellenweise so, als wären die evolutionären Entwicklungen von CYTO in das Mutterprojekt MORPHOSE zurückgeflossen. Ist dies das stille Ende von CYTO? Ist CYTO am Ende so etwas wie der Neandertaler? Ein nie vollendeter Seitentrieb der Evolution? Das wäre enorm bedauernswert, da dieses Projekt eben auch die unverkennbare Handschrift von ARC MORTEN trug, der bei MORPHOSE fast nur die Rolle eines Gastsängers bekleidet.
Das ist natürlich deutlich überspitzt ausgedrückt, wie ihr beispielsweise einem gerade erst von CHRISTOPH getätigten Facebook- Post entnehmen konntet…
Ich muss es einfach mal an dieser Stelle hinausschreien: CYTO darf nicht sterben! Gebt uns auch zukünftig Perlen wie „River Runs Red“, bitte!

Doch nun zurück zum Kernthema dieser Review…

Wachstum (nicht) über alles

Eine Besonderheit bei MORPHOSE ist auch die Arbeit mit ausgewählten Gastsängern, die ihre Texte passgenau zur musikalischen Basis direkt mitbringen.
Zwar verfolgen auch andere Produzenten, wie beispielsweise PATRICK KNOCH aka ELEKTROSTAUB dieses Konzept, allerdings bringt MORPHOSE dieses dann auch auf die Bühne.
Das klingt nach einem planerischen Selbstmordkommando und ist es auch.
Beim Debüt letztes Jahr in der SUBKULTUR Hannover fiel LENNART A. SALOMON krankheitsbedingt aus, beim BERGFEST in Ballenstedt traf es dann Viktorija Kukule.
Es grenzt an ein Wunder, das CHRISTOPH es schafft, all die selbst stark eingebundenen Künstler zu den MORPHOSE Dates zusammen zu bekommen.
Und nun gibt es auch noch Zuwachs in dieser Familie: SVEN FRIEDRICH (SOLAR FAKE, ZERAPHINE) durfte bereits seine Songs zu vorgenanntem BERGFEST live vortragen, wobei offiziell nur der Song „All Comes Back To You“ verzeichnet ist. Nun kommt auch noch CHRISTIAN SCHOTTSTÄDT (FORCED 2 MODE) dazu.
Was hier bisher nicht direkt geschrieben wurde, zwischen den Zeilen aber gut herauszulesen ist: die bisherigen Namen stehen weiterhin im Line Up, es gibt also nur einen kleinen Zuwachs.
Ist das wichtig?
Na klar! Zum einen zeigt es, dass hier nicht nur flüchtige Kollaborationen gefahren werden und zum Anderen bremst es ein bisschen das Wachstum. Irgendwann ist nämlich ein Kipppunkt erreicht, an dem es weder organisatorisch, noch finanziell zu realisieren ist, all die Gäste an einem Ort zusammen zu bekommen.
Das die bisherige Auswahl an Stimmkünstlern bereits geradezu elitär ist, sei dabei nur am Rande erwähnt.

Wer das Glück hatte, dem BERGFEST in Ballenstedt/ Harz beizuwohnen, den dürften die Beiträge mit SVEN FRIEDRICH nicht mehr wirklich überraschen. Es sei aber versichert, dass die Studioversionen ihren ganz eigenen Reiz haben.
Zu erwähnen wäre, dass die meisten Sänger diesmal nur einen Song zum Album beisteuern, was an dieser Stelle jedoch überhaupt nicht mit einer qualitativen Bewertung gleichzusetzen ist.

Jetzt aber die MP3 aufs Grammophon geworfen und ab dafür!

 

Das Cover zu The Open Shutter von MORPHOSE zeigt abstrakte Fotokunst in Schwarz/ Weiss

 

The Open Shutter – die erste Session

Also, ab dafür…!

Ganz wichtig für CHRISTOPH SCHAUER ist auch die künstlerische Ausdrucksmöglichkeit mittels Fotografie. Eine Einstellung, die er übrigens mit ARC MORTEN teilt.
Somit ist es kein Zufall, dass die beiden sich auch für die Artworks der Projekte MORHOSE und CYTO verantwortlich zeigen.
Ebenso wenig ist der Albumname zufällig mit Begrifflichkeiten der Fotografie belegt.
Wir finden den Albumtitel „The Open Shutter“ auch als Opening Track, oder eher Intro wieder. Dazu gesellen sich der „Intermediate Screen“ und das Outro „Closed Shutter“
Das Konzept ist also klar erkennbar und somit schauen wir hier eben durch den Sucher auf dieses Album.

Wie bereits erwähnt, beginnt das Werk mit dem Titel „The Open Shutter“. Kleine Warnung vorweg: dreht bloß nicht die HiFi- Anlage zu laut. Der Song kommt aus dem Nichts, entwickelt sich ganz langsam, bevor er den aktuellen Sound von MORPHOSE deutlich sicht-, äh, hörbar zur Schau stellt. Es ist ein kleines Kunstwerk, eher ein Soundtrack zu einem düsteren Film, ein Instrumental. Also zumindest fast, denn sehr spät steuert LENNART A. SALOMON dann doch ein paar Zeilen zu diesem Opener bei, an dem auch ARC MORTEN seinen Anteil hat.

Bei „Control“ steht wieder ARC am Mikrofon und kredenzt uns auf unnachahmliche Art seine coolen und deepen Gefühlsausbrüche. Auffällig sind hier Drums und Percussion, die dem Song trotz des gedrosselten Tempos eine geradezu brachiale Energie liefern. Der Track baut sich sich sehr ruhig und minimalistisch auf, um in einem verzweifelten Shout Out zu münden. Songs wie dieser machen MORPHOSE und CYTO zu etwas besonderem in der Szene.

Nun hören wir wieder LENNART A. SALOMON bei seinem Einsatz in „Sounio“. Es ist sicher nicht so gewollt, aber der Titel ist so speziell, dass er tatsächlich selbst unter der Marke SONO laufen könnte. Tanzbar, deep, ergreift er den Hörer ab der ersten Sekunde. Die Drums sind unheimlich lebendig. Selbst ein Elektrofreak wie der Autor dieser Zeilen kann seine Freude an einem echten Schlagzeug kaum verhehlen. Feines Werk und zurecht Kandidat für einen Single- Release.

 

 

Und zack, da ist er, der erste Beitrag mit SVEN FRIEDRICH. Was sollen wir noch dazu sagen? Seit über einem viertel Jahr könnt ihr „All Comes Back To You“ genießen, sezieren, abfeiern. Unabhängig von den wirklich guten Lyrics und dem unverwechselbaren Gesang ist dieser Song eine massive Wall of Sound, ein Bassmonster ohne Vergleich und dennoch schon beinahe der kommerziellste Song von MORPHOSE. Auf Album eins hatte noch SASCHA KLEIN die Aufgabe, das kantige Projekt in die breitere Masse zu tragen, hier obliegt es nun Herrn Friedrich. Und der schafft das spielend, das Ding ist eine Clubnummer sondergleichen, ein echter Brecher, eine liebenswerte Dampfwalze!

Die erste Halbzeit wird geschlossen durch das instrumentale „Intermediate Screen“, zu dem jeder Hörer beim Schließen der Augen vermutlich seinen ganz eigenen dunklen Film sieht. Best of both worlds. Und mit solchen Sounds gewinnt man dann tatsächlich sogar Preise in der Medienwelt. Und womit? Mit Recht!

The Open Shutter – Session zwei

Die zweite Hälfte des Gesamtwerkes ‚The Open Shutter‘ öffnet der Song „Patronize“, bei dem VIKTORIJA KUKULE wieder ihre ganze Stimmgewallt zum Einsatz bringt. Man fragt sich unweigerlich, warum man keine große Szeneband findet, die auf eine Frontfrau KUKULE setzt? Sie schafft es spielend, den Songs nur durch ihre Stimme und den Umgang damit eine unendlich melancholische Tiefe zu verleihen. Dazu wieder das sehr dynamische und kraftvolle Schlagzeug, einfach wow. Die Wetten stehen gut, das uns der Song live die Frisuren anständig richten wird, ähnlich einer Motoradfahrt mit 200 Sachen ohne Helm!

Jetzt wird es ein wenig fies, denn „Matilda Effect“ spielt mit Erwartungen. Ob gewollt, oder nicht – man führt immer sofort einen Vergleich mit DEPECHE MODE durch. Denn natürlich erinnern Stimme und Gesangstil von CHRISTIAN SCHOTTSTÄDT an die großartigen britischen Pioniere, aber auch musikalisch ist man gar nicht so weit weg von deren Stil. Also eigentlich schon, aber irgendwie…
Ihr merkt es, da vergaloppiert sich der Rezensent gar heillos. Fazit: man wünscht sich beinahe, DEPECHE MODE würden so klingen, wie MORPHOSE in diesem Song. Ja ja, shitstormt jetzt ruhig ordentlich los, aber nach dem Anhören dieses Liedchens versteht ihr, was ich meine!

„Dissapointing“ ist der zweite Beitrag mit SVEN FRIEDRICH. Er wirkt gegenüber „All Comes Back To You“ deutlich poppiger, ohne wirklich im Pop zu enden. Ein wunderbarer Tanz auf der Rasierklinge, lässig ausgeführt.

Wir sind schon wieder fast am Ende angekommen. Den letzten richtigen Song darf SASCHA KLEIN begleiten. „Undertow“ startet mit einer fast schon EBM- tauglichen Bassline, bevor Schlagzeug und Gesang dem Ganzen eine andere Richtung geben. Die Gitarre bekommt auch einen akustisch sehr dominanten Platz zugewiesen. Es geht rauf und runter, wird laut und leise, kräftig und zurückhaltend. Der SASCHA passt bestens zu diesem musikalischen Grundgerüst und verleiht ihm eine besondere Note.

Nun heißt es schon wieder Abschied nehmen. „Closed Shutter“ fügt sich in die gleiche Form, wie der Opener und das Instrumental in der Mitte von „The Open Shutter“. Man fühlt sich fast ein bisschen Lost in diesem Sound. Hier bekommen wir jedoch schon früh Vocals von ARC MORTEN dazu, die uns in eine Schlucht zu reißen drohen.

…and i loosed my way…

Fazit

‚The Open Shutter‘ ist wieder ein Kunstwerk wie der Vorgänger ‚The Inexplicable Darkness Of Light‘ geworden. Nein, das sind keine Worte eines Fanboys, sondern tiefe Bewunderung für dieses wirkungsvolle Gesamtwerk.
Es ist kantig, sperrig, sehr deep und düster – und doch irgendwie auch erfrischend und kurzweilig.
Dieser Spagat zwischen einem O.S.T. eines Blockbusters, tiefschwarzer Szenemusik und gut konsumierbaren Pop ist eigentlich technisch unmöglich und wird hier doch geradezu spielend leicht vollzogen.
Ihm fehlen ein wenig die Überraschungsmomente des Erstlingswerkes, allerdings wollen wir ja gar nicht, das diese Band sich auf jedem Album völlig neu erfindet. Das Konzept von MORPHOSE wurde hier wirklich gut weiter ausgebaut und das analoge Schlagzeug ist eine absolute Bereicherung!
Glasklare Empfehlung!

Ergänzung

Wer unserer Einschätzung hier nicht traut, kann sich gerne in nächster Zeit in Oberhausen, Rüsselsheim und Hannover live davon überzeugen. Zudem sind sie im Dezember als Support Act bei NEUROTICFISH in Hamburg dabei. Hier die Details:

  • 27.10.2023         Oberhausen/ KULTTEMPEL          mit BON HARRIS, JAN REVOLUTION
    Tickets
  • 28.10.2023         Rüsselsheim/ DAS RIND                 mit NEUROTICFISH, BON HARRIS
    Tickets
  • 25.11.2023          Hannover/ SUBKULTUR                 mit DSTR
    Tickets
  • 09.12.2023         Hamburg/ MARKTHALLE              als Support für NEUROTICFISH
    Tickets

Fakten

Act:                       MORPHOSE
Release :              The Open Shutter
Release Date:     13.10.2023 (digital only)/ 27.10.2023 (physisch)
Label:                   INFACTED Recordings
Medien :              digital Download, Stream, CD
Quellen :              Bandcamp, alle großen Download- und Streamingportale, überall im CD- Handel

Tracklist
  1. The Open Shutter (feat. ARC MORTEN, LENNART A. SALOMON)
  2. Control (feat. ARC MORTEN)
  3. Sounio (feat. LENNART A. SALOMON)
  4. All Comes Back To You (feat. SVEN FRIEDRICH)
  5. Intermediate Screen
  6. Patronize (feat. VIKTORIJA KUKULE)
  7. Matilda Effect (feat. CHRISTIAN SCHOTTSTÄDT)
  8. Disappointing (feat. SVEN FRIEDRICH)
  9. Undertow (feat. SASCHA KLEIN)
  10. Closed Shutter (feat. ARC MORTEN)

Immer dran am Projekt MORPHOSE seid ihr hier und hier.

Unseren Stream und viele weitere redaktionelle Inhalte bekommt ihr auf unserer Website, aktuelle Artikel und mehr auf unserer Facebook Präsenz.

In eigener Sache

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Geschrieben von: Dany Wedel

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