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Wenn es abends langsam dunkler wird (auch wenn es zu diesem Zeitpunkt noch hell war, weil die Sommerzeit wieder begonnen hat, … aber das ignorieren wir jetzt einfach mal), schleichen sich düstere Gestalten durch die Frankfurter Gassen und treffen sich im Nachtleben zur Seelenmesse. Am 27. April 2024 predigten dort SANZ und HELL BOULEVARD zur Requiem Tour 2024.
Die Anreise lief wider Erwarten ziemlich gut. Da hatte ich schon andere Erfahrungen machen müssen. Der Einlass war sehr schnell und unkompliziert, durch die Unterstützung einer kleinen emsigen Stemplerin (etwa 5 Jahre alt).
Das Nachtleben ist ein als Café getarnter Nachtclub, der 1993 als kleine jüngere Schwester des Frankfurter Batschkapps das Licht der Welt erblickte. Praktisch ist die zentrale Lage, wodurch man direkt Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel finden kann. Das Nachtleben ist ein kleiner gemütlicher Club für Konzert-Events mit Wohnzimmer-Atmosphäre. Der Eingang führt durch das Cafe. Über eine Treppe gelangt man in den Untergrund, in dem sich der Club befindet. Aufgrund der niedrigen Decke in der Location, sollte man am besten nicht an Klaustrophobie leiden.
Die Seelenmesse wurde durch die Predigt von der deutschen Dark-Rock-Band SANZ eröffnet. Hauptprediger Sandro Geißler (Gesang) wird musikalisch von Joe Gastel (Gitarre), Johnny Ramirez (Gitarre, Back Vocals), Fred Cube (Bass) und Dennis Marto (Schlagzeug) unterstützt. Im Mai 2022 veröffentlichte die Band ihr elektronisches Debut-Album ‚Let Us Die‘ , welches im April 2023 mit ‚We Are Lost’ in ein rockiges Gewand verkleidet wurde. Der Sound von SANZ paart sich mit harten Gitarrenriffs, präsentem Bass, wummernden Drums und melodischen Klängen. Der ausdrucksstarke Gesang wirkt emotional, düster und warm.
Zunächst betraten die Instrumentalisten nacheinander die Bühne und begannen ihr Spiel. Es folgte Sandro, überraschenderweise im Pelzmantel, der mit seinem sofort einnehmenden Gesang einsetzte. Hierbei stellten sich wahrscheinlich einige die Frage: Wie lange schafft Sandro es, den Pelz zu tragen? Ich möchte euch des Rätsels Lösung nicht vorwegnehmen, aber als kleiner Tipp: Zu diesem Zeitpunkt ging es bereits sehr heiß her und die Location füllte sich zunehmend. Die Seelen-Anhänger standen sogar bis in den Flurgang hinein.
Nach dem ersten Song „Demons“ begrüßte der Hauptprediger das Publikum. Direkt stellte Sandro klar, dass er kurzsichtig unterwegs sei. Eine nette Seelen-Anhängerin bot ihm daraufhin ihre eigene Brille an. Was Sandro allerdings dankend ablehnte. Für einen Moment schien die Haupt-Aktion im Raum zu sein, Brillenträger zu suchen und es wurden tatsächlich welche gefunden.
Weiter ging es mit dem Song „Suck Your Love“, bei dem Sandro den Gitarristen zu meiner Verwunderung als Johnny Ramirez und nicht als Ben Barnes vorstellte. Johnny sieht dem Prinz Caspian-Darsteller (Chroniken von Narnia) erstaunlich ähnlich.
Dann kam der Augenblick, in dem der Sänger von der Bühne verschwand und tatsächlich nicht wieder im Pelz erschien, sondern in einer leichten Jeans-Jacke. Ganze zwei Songs hatte er es also in dem Gewand ausgehalten, bevor er Gefahr lief zu zerschmelzen.
Den Song „The Truth“ nutzte der Frontmann, um mit seinen Gitarristen auf Kuschelkurs zu gehen. Ruhig und leicht gestartet, nahm das Lied im weiteren Verlauf an Stärke zu, wurde energetischer, brachialer und ließ keinen Fuß stillstehen sowie alle mitsingen.
Zum Schluss hin wurde es nochmals emotionaler. „Close“ ließ die Seelen-Anhänger mit ihren Handy-Taschenlampen den Raum erleuchten. Der Song ging nahtlos in das kraftvollere „The End“ über, bevor sich SANZ von den Anhängern vorerst verabschiedete, mit dem Hinweis sich noch am Merchstand nach der Veranstaltung treffen zu können.
Während des gesamten Gigs waren alle fünf Musiker ständig in Bewegung, agierten mit dem Publikum und auch miteinander, animierten sich selbst und die Menge. Außerdem stand jedes Bandmitglied mehrmals im Mittelpunkt. Es machte einen Riesenspaß der Bühnenperformance zu folgen. Es gab keine Minute, in der es langweilig wurde. Drummer Dennis ließ seine Sticks akrobatisch durch die Lüfte fliegen und Joe spielte seine Gitarrenriffs hinter seinen Schultern. Obwohl die fünf Musiker die Bühne komplett ausfüllten, schafften sie es spielerisch diese dynamisch zu nutzen. Erstaunlich, dass diese Band-Konstellation erst seit einem Jahr besteht.
Es folgte eine kleine Umbauphase. Bevor die zweite Predigt beginnen konnte, erfolgte eine Biertaufe durch, von und mit Marengo. Dieser wollte wohl einen stärkenden Schluck aus seiner Flasche nehmen, die jedoch halb explodierte und überschäumte. Der Gitarrist nahm dies mit Humor und empfing dankbar von einer weiteren Seelen-Anhängerin ein Taschentuch. Er verschwand noch einmal hinter die Bühne. Dann war es endlich so weit und die Hauptpredigt begann.
Die Lichter gingen aus, es wurde dunkel und die Spannung stieg spürbar an. Ein Piano und engelsgleiche Töne erklangen. Dazu kamen erwartungsvolle mystische Mönchs-ähnliche Klänge, während die vier Musiker von HELL BOULEVARD, begleitet durch anbetenden Jubel, nacheinander einzeln die Bühne betraten.
HELL BOULEVARD ist eine 2014 gegründete Dark-Rock-Band, die aus Front-Sänger Matteo Fabbiani „vDiva“, Gitarrist von Marengo, Bassist Raul Sanchez und Schlagzeuger Jan Hangman besteht. Ihr Sound zeugt aus einer Mischung von Goth Metal, orchestralen Akzenten und elektronischen Elementen. Hervorzuheben wäre noch, dass die Band dieses Jahr ihr 10-Jähriges feiert und an diesem Abend in Frankfurt ihre 100ste Show spielte.
Das Intro ging über in „Weirdos“. Dieser war als einer der neueren Songs ein perfekter Einstieg. Er wirkte begrüßend, einladend und vermittelte die Botschaft, dass jede Seele willkommen ist.
Bei „She Just Wanna Dance“ hielt Matteo einer Seelen-Anhängerin das Mikrofon hin. Diese grölte begeistert den Songtitel mit.
„Dead Valentine“ war der erste ruhigere Song des Sets. Emotional, mit sehnsuchtsvoller Stimme und gleichzeitig instrumentaler Begleitung schwebte der Titel durch den Raum. Anschließend wurde der Titel-gebende Song des im März erschienen Albums „Not Another Lovesong (Requiem)“ performt. Dieser ist tatsächlich kein Liebeslied, sondern handelt von Hass, Wut, Schadenfreude und das Hoffen auf das Heilen der Seele. Soundtechnisch wird man hierbei förmlich vom Platz gefegt.
Vor „Not Sorry“ gab es eine kleine Massage von Raul für Matteo, obwohl dieser nicht gerade wirkte, als hätte er es nötig. Ich dagegen hätte diese mehr gebraucht, so verspannt wie mein Nacken vom „nach oben schauen“ war. Das passiert, wenn man direkt vor der Bühne steht und die Musiker auch nicht gerade kleinwüchsig sind. Bevor der Sänger vor lauter Entspannung Gefahr lief einzuschlafen, forderte er das Publikum als Wecker zu fungieren und ließ diese jubeln. Wer definitiv nicht drohte einzuschlafen, war Jan Hangman. Der Drummer ließ unermüdlich seine Drumsticks umherfliegen. Er wirkte das Konzert über cool und lässig. Auch wenn man ihn im Hintergrund leider schlecht sehen konnte, war er trotzdem präsent und deutlich zu hören. Eingeläutet wurde „Not Sorry“ durch „I like to move it, move it!“ von dem Gitarristen. Animierend hüpften von Marengo und Raul zusammen auf und ab.
HELL BOULEVARDs Hauptprediger zählte auf, welche Coversongs die Band auf ihrer Tour bereits präsentierten. Darunter waren „The Temple Of Love“ von SISTERS OF MERCY und „Children Of The Dark“ von MONO INC. …und andere Leute. Die Anhänger beschwerten sich daraufhin mit Gelächter, sodass Matteo die „anderen Leute“ dann doch benannte: MONO INC., Joachim Witt, Chris Harms und LACRIMOSA. Zustimmender zufriedener Jubel des Publikums ertönte. Diesen Abend jedoch, würde HELL BOULEVARD etwas anderes spielen. Den Song hätten wir schon während des ersten Sets von SANZ gehört. HELL BOULEVARD hatte sich dazu entschieden, „We Are Lost“ von SANZ zu performen. Allerdings in einer anderen Version, natürlich im HELL BOULEVARD – Stil. Ziemlich schnell wurde klar, dass der Prediger mit seinen Worten seine Fangemeinde auf Irrpfade geschickt hatte. Denn letztendlich konvertierte ein Song von RICKY MARTIN. „Livin‘ La Vida Loca“ wurde im HELL BOULEVARD – Gewand wiedergeboren. Der Song wurde gebührend von der Gemeinschaft aufgenommen und mit schwarzen Luftballons zelebriert.
Mit Augenzwinkern wurde „Zero Fucks Given“ anschließend präsentiert. Von Marengo trug eine LED-Brille mit Songtitel-Schriftzug und Raul rockte weiß-pinke Hasenohren.
Danach verließen Drummer Jan und Bassist Raul die Bühne. Für die Acousticversion „Don’t Fix A Broken Heart“ benötigte der Frontmann nur von Marengo mit seiner Gitarre, die vorerst gestimmt werden musste. Matteo kurbelte das Publikum an, mal so richtig Lärm zu machen, um das Stimmen der Gitarre zu erschweren. Und dann wurde es wie auf Knopfdruck mucksmäuschen still. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Das Gitarrensolo begann, bevor der Sänger mit seiner tiefen, rauchigen, einlullenden, hypnotisierenden (ich möchte jetzt nicht den Rahmen sprengen, hätte aber wahrscheinlich noch tausend andere Worte, um seine Stimme zu beschreiben) Gesang einsetzte. Dieser Song war der emotionalste des Abends. Jede einzelne Sekunde fühlte man die Emotionen im Raum und litt förmlich mit. Der ein oder andere hat vielleicht sogar vergessen zu atmen. Auch Matteo schien einen Moment zu benötigen, um in das tatsächliche Geschehen des Konzertabends zurückzukehren.
Mit „Satan In Wonderland“ schaffte es HELL BOULEVARD die Stimmung sofort wieder zu heben. Es wurde nochmal energetisch, lebhaft und teuflisch.
Besser als mit „In Black In Trust“ hätte man den Abend nicht beenden können. Denn letztendlich vertrauen alle Besucher des Konzerts auf schwarz. In der Community muss nie jemand alleine bleiben. Und wer doch das Gefühl haben sollte, scheut euch nicht Unterstützung zu holen. Es ist kein Weg, den du alleine gehen musst.
Geplagt von Emotionen, harten Gitarrenriffs, wummernden Bässen, starken Drums und beeindruckenden Stimmen, hallte der Abend in die Nacht. Seelen wurden freigelegt und eingefangen. Beide Predigten waren mehr als überzeugend und vereinnahmend. Das oberste Ziel einer Predigt ist es, die Zuhöherer*innen durch die Wortwahl und die Art zu berühren, Trost zu vermitteln und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Mit Leichtigkeit erreichten die zwei Bands dieses Ziel. Im Anschluss des Konzerts konnte man sich mit den Bandmitglieder unterhalten, Fotos machen und Autogramme holen. Seid vorgewarnt: Besonders SANZ signiert wirklich alles! (Zitat Sandro)
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Geschrieben von: Lucy-Sophie Heffner
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