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Die Band NACHTMAHR feiert 2025 ihre Volljährigkeit und zelebrierte die Beharrlichkeit ihres Bestehens und Schaffens mit zwei grossen Shows, zu denen zahlreiche Gäste geladen wurden, wie beispielsweise Reaper und Phosgore, aber auch andere Kunstschaffende wie Ostara M. (von Vampyros Lesbos) Als «Industrial Orgie, die kein Mass kennt»[1] bezeichnet sich die Band selbst, im November erschien ihre neuste Single “Der Schlaf“. Radio Schwarze Welle traf die Band am 13. Dezember 2025 bei ihren Vorbereitungen zum «LET YOUR DARKNESS OUT»-Festival in Aarburg.
1. Ein erlebnisreiches Jahr, das auch euer 18-jähriges Bandbestehen feiert, liegt hinter euch. Wie fühlt es sich an, seit 18 Jahren unterwegs zu sein?
Das fühlt sich alt an. Mit L’Âme Immortelle bin ich sogar seit dreissig Jahren unterwegs. Dass wir immer noch da sind, ist für mich die grösste Überraschung. Jahrelang wurden wir, vor allem mit NACHTMAHR, sabotiert und dass wir es trotzdem geschafft haben, haben wir unserer Beharrlichkeit zu verdanken. Wir haben immer weitergemacht trotz des Gegenwindes. Aber das alles war nur möglich dank des Supports unserer Fans; auch dass NACHTMAHR heute grösser ist als je zuvor. Unsere Fans haben uns immer weitergetragen, auch in den Stunden, die unsere dunkelsten waren. Zum Beispiel verloren wir in Hannover nach durch einen Konzertabbruch enorm viel Geld, aber unsere Fans wogen das innerhalb von zwei Wochen auf. Die folgende Show in Leipzig fand mit über 700 Leuten statt – unsere grösste Show. Wir haben gewonnen, die Fans haben uns stark gemacht.

2. «Gehasst, verdammt, vergöttert» – die Kontroversen um eure Auftritte sind hinlänglich bekannt. Ihr habt auf euren Sozialen Medien die Aufmerksamkeit auf psychische Krankheiten gelenkt, euer neuster Familienzuwachs aka Maskottchen Nachtbobr trägt grundsätzlich ein Regenbogenhalsband. Für welche Werte steht Nachtmahr?
Wir stehen für Authentizität und Selbstbestimmung, aber auch für Diversität. Unter Diversität verstehe ich eine weitere Definition als die durch den politischen Diskurs negativ aufgeladene: In unserem Team sprechen wir unterschiedlichste Sprachen (Anm. d. Redaktion: Auch das Interview wurde mehrsprachig geführt und der Einheitlichkeit wegen ins Deutsche übertragen), wir stammen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, aber auch unsere Fans sind unterschiedlichster Herkunft, sexueller Orientierung, Geschlechteridentität und Hautfarbe. Das ist, woraus wir Inspiration schöpfen.
3. In der Musikbranche seid ihr bereits seit nunmehr 18 Jahren unterwegs und habt zahlreiche Entwicklungen durchlaufen. Was hat euch am stärksten geprägt als Band?
Der Gegenwind, der uns entgegenschlug: Der hat mich angetrieben, und ich sagte mir immer wieder: Jetzt erst recht. Ein Beispiel dazu: Alles selbst zu managen. Es ist ein immenser Kraftakt alles allein zu machen, gerade wenn einem permanent Steine in den Weg gelegt werden – und dennoch bin ich mir selbst treu geblieben: Man soll nicht immer gefallen, denn es ist gut, wenn wir die Finger auch ab und an auf jene Wunden halten, die besonders schmerzen, denn die Szene insgesamt ist zu zahm geworden und hat ihren rebellischen, aufrührerischen, im Punk verwurzelten Ursprung vergessen. Winston Churchill drückte es einst folgendermassen aus: «Du hast Feinde? Gut. Das heisst, dass du irgendwann in deinem Leben für etwas eingestanden bist.»
4. Ihr habt in eurer Bandgeschichte mit zahlreichen Musiker*innen zusammengearbeitet und unzählige inspiriert. Welche Inspiration zieht ihr selbst aus dieser Zusammenarbeit?
Es ist die stilistische Widersprüchlichkeit in der Zusammenarbeit mit anderen, die mir gut gefällt. Wir arbeiteten beispielsweise mit Eisregen oder Morbid Angel zusammen, das ergab spannende Projekte. Remixes zu machen, ist ebenfalls eine grosse Inspiration für uns. Sobald ein Diskurs entstehen kann, ergeben sich fruchtbare Momente, in denen etwas Neues entstehen kann.
5. Mit “Der Schlaf“ habt ihr eine erste Single als Teaser auf das neue Album veröffentlicht. Worauf dürfen sich eure Hörer*innen freuen, was erwartet sie?
Kateryna meinte, das sei das dreckigste und aggressivste Nachtmahr-Album bisher. Das Album stammt unverkennbar aus der nachtmahr’schen Welt, aber es ist auf vielen Ebenen aggressiver und direkter. Die Pole werden noch extremer betont, das äussert sich beispielsweise in der Spannweite der Musikgenres, die musikalische Reise führt in diesem Album von Hard-Techno wie bei “Der Schlaf“ bis hin zu Neofolk.
6. Wie von euch gewohnt ist das Stück eine wilde Fahrt durch verschiedene Szenerien. Kann man sich die Arbeit an einem Album ebenso vorstellen? Wo liegen Herausforderungen, was bleibt auf dem Weg zu einem Album in Erinnerung?
Ich schreibe die Songs in ihrer elektronischen Form und wenn ein Stück fertig ist, höre ich es ausschliesslich mit dem Gesang und dazu begleite ich mit Piano oder Akustikgitarre. Wenn das gut klingt, ist der Song gelungen. Die Herausforderung liegt darin, sich immer neu zu erfinden, neue Darstellungen zu finden.
7. Mit den ‚Dominant – The Piano Sessions‚ schlugt ihr auch neue musikalische Wege ein. Wie gestaltete sich die Umarbeitung der Stücke?
Die grösste Herausforderung war es, die Stücke in eine Piano-Version zu transformieren. Jeder Nachtmahr-Song hat eine Melodie, die ihm zugrunde liegt, aber diese zu entdecken, kostete mich einige Wochen (Anm. d. Redaktion: Kateryna). Irgendwann hatte ich den Zugang gefunden, für die Aufnahmen selbst benötigte ich lediglich eine Woche. Mir war wichtig, dass sich die Stücke nicht zu stark ähnelten. Bei einigen Stücken dachte ich, dass ich aufgeben würde, beispielsweise bei «Alle Lust will Ewigkeit». Aber ich gab nicht auf und das Resultat ist ein wundervolles Album.
8. Musik verbindet, heilt, beruhigt…, was kann Musik?
Sie ist die Sprache der Seele, Musik kann Magie. Ich fange meine eigene Stimmung ein und versuche, diese weiterzugeben. Musik ist die Unmittelbarste aller Möglichkeiten, eigenes Fühlen weiterzugeben. Vrolok LaVey ergänzt: Musik ist die einzige Sprache, die wir gemeinsam verstehen können.
9. Ich erinnere mich an eine Äusserung in den Sozialen Medien, dass ihr euch freut, wieder einmal in der Schweiz zu spielen (und auf das Fondue). L’Âme Immortelle spielten ja im Februar bereits in Basel – was verbindet euch mit der Schweiz? Und welche Länder oder Orte, an denen ihr bisher noch nicht gespielt habt, würdet ihr gerne als Band bereisen?
Die Schweiz bedeutet uns viel. Das heisst nicht nur, als Band hierherzukommen und zu spielen, sondern auch unsere Schweizer Freunde zu treffen, wie hier am «LET YOUR DARKNESS OUT»-Festival. Wir möchten noch viele Länder bereisen, um dort zu spielen, Südafrika, Kolumbien, Brasilien, aber auch asiatische Länder, Japan, Korea oder China reizen uns. Spannend ist immer, einen neuen Blickwinkel zu erlangen. Als Musiker*in reist man nicht touristisch, sondern man sieht ein klein wenig hinter die Fassaden der Potemkin’schen Dörfer: Hinter den Fassaden präsentieren sich oft ganz andere Gegebenheiten, Erfahrungen und Erlebnisse.
10. Was würdet ihr einer Person mit auf ihren Weg geben, die gerne Musiker*in werden möchte?
Im Moment würde ich jeder Person davon abraten, in die Branche einzusteigen. Der Markt ist mit schlechter Musik überflutet, es geht nur noch um Zahlen und KI spielt eine immense Rolle dabei. Falls einen das aber nicht abhält, dann muss der Weg in die Branche über den Weg als Gastband grösserer Bands führen: Besorgt euch ein wenig Geld und bezahlt ggfs. Gebühr, um so auftreten zu können. Das ist aktuell wohl der einzige Weg, der erfolgsversprechend sein kann.

[1] Aus dem Intro des Songs “Nicht wie sie“ (2021).
Geschrieben von: the.goth.teacher
Album Festival Hard-Techno Industrial Instrumental Nachtmahr Neofolk Piano Thomas Rainer